Fundstücke & Anekdoten
Das literarische Archiv
In einem kleinen Stadtarchiv, irgendwo in Süddeutschland, ging es meist beschaulich zu. Herr Müller, ein erfahrener Archivar, verbrachte seine Tage zwischen alten Dokumenten, längst vergessenen Zeitungen und Plänen aus dem 18. Jahrhundert. Er liebte die Stille des Wisperns der Geschichte und die Ordnung der Regale, die nur er verstehen konnte und die fast schon meditative Ruhe seines Kellerraumes.
Eines Tages kam ein älterer Herr vorbei und bat um Hilfe. Er suchte nach der alten Bauakte seines Elternhauses, das er gerne renovieren wollte. Herr Müller, stets gewissenhaft, nahm die Anfrage entgegen und begab sich in die Tiefen des Archivs, in das sogenannte "Magazin", wo die älteren Akten gelagert wurden.
Nach einer Weile fand er die besagte Akte, doch als er sie öffnete, entdeckte er eine kleine Überraschung: Zwischen den Bauplänen und Genehmigungen lag ein zerknitterter Brief aus dem Jahr 1943. Neugierig faltete Herr Müller das Papier auseinander und begann zu lesen. Es stellte sich heraus, dass es ein Liebesbrief war, geschrieben von einem jungen Soldaten an seine Geliebte. Der Brief war nie abgeschickt worden und offenbar den Bauunterlagen versehentlich beigelegt worden.
Herr Müller, bewegt von der Geschichte, zeigte dem älteren Herrn den Brief. Als dieser ihn las, füllten sich seine Augen mit Tränen. "Der ist von meinem Vater", sagte er leise. "Er hat immer von einer großen Liebe erzählt, die er im Krieg verloren hat."
Die Renovierungspläne gerieten in den Hintergrund, und stattdessen verließen der ältere Herr und Herr Müller an diesem Tag das Archiv mit einem Gefühl, als hätten sie etwas weit Wertvolleres entdeckt als alte Bauakten – eine verlorene Erinnerung, die durch einen Zufall wieder ans Licht gekommen war.